In manchen Orten hat man kein Glück. Dort ist es peinlich, lästig, schmerzlich. Man erlebt alles mögliche, aber es ist wie verwurmt und nie wirklich gut.
Ursprünglich wollte ich gar nicht herkommen, sondern westlich vorbeiwandern. Aber bei meinen Planungen stieß ich auf eine Buchhandlung, die mal beste Buchhandlung Bayerns war. Interessant, dachte ich. Die Buchhändlerin schrieb nett zurück. Zudem klang ihr Nachname in meinen lautmalerisch empfänglichen Ohren irgendwie nach Wanderschaft.
Ich bot also an, bei meiner Tour für einen Kaffeeplausch im Buchladen Station zu machen.
Erntete einen Smiley.
Parsberg also. Ich nähere mich von Süden, komme durch schöne, ausgedehnte Buchenwälder. In der Nähe der Stadt entdecke ich auf den Stämmen Penis-Graffiti. Weniger schön. Parsberg beginnt mit einem Neubaugebiet. Ich habe nichts gegen Einfamilienhäuser, wohne selbst in einem. Aber manche dieser modernen Blöcke muten an wie Industriebauten.
Von den davor stehenden Wärmepumpen unterscheiden sie sich äußerlich nur durch ihre Größe. Was wird darin „produziert“, denke ich im Vorbeigehen. Kinder wahrscheinlich auch nicht.
Im Geschäft der schönnamigen Buchhändlerin werde ich von einer Mitarbeiterin rasch abgefertigt. Die Chefin käme am späten Nachmittag. Ich versuche mich zu erklären. Sei der und der, machte das und das, hätte gestern noch gemailt. Ob sie ihre Chefin bitte mal anrufen könne.
Zu diesem Zeitpunkt bin ich frohen Mutes. Ich möchte die preisgekrönte Buchhändlerin zur Lage der Branche und vielleicht auch zum Thema Glück interviewen. Dann lässt mich ihre Kollegin wissen: daraus wird nichts. Die Chefin käme nicht mehr, käme zu Hause nicht weg.
Von einem Moment zum nächsten spüre ich jeden der hergelaufenen zwanzig Kilometer. Mein Rucksack ist zu groß und zu schwer. Ich hocke vor dem Laden. 14:30 Uhr. Um die 30 Grad. Freitag. Hungrig schlurfe ich zurück ins Zentrum und muss eigentlich in die andere Richtung. Möchte in Parsberg aber wenigstens essen.
Es beginnt eine Odyssee, die etwas über den Ort, bestimmt aber auch über mich erzählt. Über die Brille, die sich mitunter nicht absetzen lässt. Über die Voreingenommenheit, die sich in einem festbeißt. In der Stadt sehe ich Bauzäune, ruinöse Gebäude und vor allem Verbotsschilder. Zwei Gasthöfe heißen nur noch so – mit neuer Schrift auf renovierter Fassade – sind jedoch längst geschlossen, und deshalb mit „ehem.“ bezeichnet. Wie seltsam.
Auch ein solcherart ausgewiesener Imbiss ist kein Imbiss mehr, sondern steht leer. Über dem Welcome-Schild der Warnhinweis: „Achtung Videoüberwachung!“ Wie geht man in dieser Stadt eigentlich mit dem Wort um? frage ich mich. Das nächste Restaurant hat Urlaub. Im übernächsten wird mir gesagt: „Wir schließen“. Obwohl Schließzeit erst in einer Stunde ist. Nudeln mit Tomatensauce wären noch im Angebot.
Eine Dame auf der Straße weiß: „Es gib einen Asiaten. Die Straße rauf!“. Fußlahm ächze ich weiter. Die Sonne knallt. Wo ist dieser „Asiate“? Besser frage ich noch jemand anderen. Vor dem Rathaus stoppt ein Auto. Hilfesuchend winke ich, muss den Herrn am Steuer aber an etwas sehr Furchtbares erinnern – mit quietschenden Reifen saust er davon.
Der in Parsberg vorherrschende Eindruck von Abwehr und Niedergang ist auf Dauer deprimierend. Rechts eine aufgegebene Galerie. Links die nächsten Bauzäune.
Aus dem Rathaus spaziert ein Mann in schmucker Tracht. Selbst so wirkt er wie ein Beamter. Ich frage ihn nach einem Restaurant-Tipp und erwähne den empfohlenen „Asiaten“. Der Trachtenmann mustert mich: „Muss es unbedingt ein Asiate sein?“. „Nein. Gar nicht!“ Auch er schickt mich die Straße rauf. Immer weiter. Dort gäbe es etwas Feines, Bayrisches. Mit Familie und Freunden hätte er in diesem Lokal wunderbare Abende verbracht. Das Essen wäre vorzüglich „Es sei denn, man zieht ‚Asiatisches‘ vor“, stichelt er zum Abschied
Ich irre durch Parsberg, einer Hauptstadt der Enttäuschungen, habe schon Visionen. Finde jedoch kein Restaurant, sondern nur immer mehr Verbotsschilder – Parkverbotsschilder, Betretungsverbotsschilder, Eiscremeverbotsschilder… Und eine merkwürdig ausgewiesene Bürgerbank. Und vernagelte Häuserfronten. Und eine schief hängende Hassbotschaft gegen Eltern auf einem Privatgrundstück gegenüber der Schule. Und eine Art Atlantikwall vor einem Firmengebäude.
Parsberg ist eine Besucherfalle.
So empfinde ich es. Vor dem mir insgesamt dreimal empfohlen „Asiaten“ stehe ich am Ende. Auf der anderen Seite des Berges, am Busbahnhof.
Auf dem Türschild lese ich: „täglich außer Freitag“.
Parsberg gehört verlassen!
Nur schnell noch in einen Supermarkt. Etwas essen, egal was. Und dann weg.
Ein Auto hält neben mir. Fröhlich lachende Gesichter. „Sind Sie nicht der aus dem Fernsehen? Gehen Sie nach Berlin?“
Es sind die Ersten, die mich erkennen. Ausgerechnet in Parsberg heben zwei Menschen die Daumen und wünschen mir alles Gute.
Wenig später lerne ich Joanita kennen. Sie arbeitet hinter der Metzgertheke des Supermarktes und hat mitreißenden Schwung. Ihr Vater stammt aus Michigan. Deshalb besitzt sie den amerikanischen Pass, lässt sie mich wissen. Weil sie herrlich kommunikativ und fröhlich ist und Essen beinahe immer hilft und milde stimmt, möchte ich ein Glücksinterview mit ihr führen.
Sie stimmt zu, erlaubt allerdings nur eine Audioaufnahme, weil sich sonst wieder „perverse Männer“ bei ihr melden würden.
Unser recht chaotischer Austausch an der Wursttheke versöhnt mich beinahe mit Parsberg.
Es sind immer die Menschen. Und es gibt sie überall.
P.S.: Das bestätigt sich auch spät am Abend hinter Parsberg. Für die Bewohner eines Hauses, an dem ich vorbeiwandere, ist es selbstverständlich, mich für die Nacht aufzunehmen.
Herzlichen Dank Heide, Volker und Wolfram!
24. August 2024