Interviews

Zum Roman „Die Unscheinbaren“

Einland.net | 09.11.2019

CulturMag | 11.2019

Interview mit Norbert Kron ARTEMOTION*Berlin| 08.2019

Deutschlandfunk Kultur, „Lesart“ | 01.04.2019

Deutsche Welle Videoclip „The Inconspicuous Ones“ (short version) | 28.02.2019  

ARTE-Beitrag über die Premiere des Romans | 25.02.2019

 

Für die Regionalausgabe der Augsburger Allgemeinen anlässlich einer Lesung im Allgäuer Literaturhaus, September 2021

Die Anregung zu dem Roman entstammt Ihrer Familiengeschichte. Könnten Sie uns den Anlass kurz skizzieren?

Es gab keinen unmittelbaren Anlass, sondern eher den über Jahre gewachsenen Wunsch, dieses Drama in allen Facetten zu erkunden. Ich wollte unseren fast erwachsenen Töchtern eine Art Erklärung in die Hand geben, weshalb wir in dieser Familie so sind, wie wir sind. Dabei ist Literatur entstanden, also eine Fiktion. Eine bloße Dokumentation hätte mich, ehrlich gesagt, gelangweilt. Die realen Bestandteile dieser Geschichte – Spionage, Verhaftung, Schauprozess und Gefängnis während des Kalten Krieges – müssen wahrlich nicht ausgeschmückt werden. Aber nur Literatur erlaubt diese Erweiterung, dieses unerbittliche und auch schöne Schauen hinter die Kulissen.

Wenn ich allerdings einen Anlass für den Roman benennen müsste, ein Ereignis, dessen Erforschung mich lange vor dem Beginn des Schreibens in den Bann gezogen hat, dann wäre es der Tod meines Onkels. Er war Tierarzt und Doppelagent wie meine in der Nähe von München lebende Hauptfigur Martin Schmidt und starb 1999 unter ungeklärten Umständen in einem Baggersee.      

Welche Quellen waren Ihnen zugänglich?

Am wichtigsten waren die Gespräche mit meinem Vater. Er führte mich zu seinem Elternhaus in Berlin-Blankenburg und schilderte mir sein Leben als Sohn westlicher Agenten im Ostberlin der 50er und 60er Jahre. Um die Spionagetätigkeit meiner Großeltern aufzuklären, erlaubte mir der Bundesnachrichtendienst freundlicherweise Archivmaterial einzusehen. Auch in der Stasi-Unterlagen-Behörde in Berlin konnte ich recherchieren und den spannenden Fall so aus Ost- und West-Perspektive durchleuchten.     

Wie intensiv haben Sie sich mit Ihrem Vater ausgetauscht?

Das waren aufregende Monate. Unsere Gespräche und Ortsbegehungen hatten, würde ich behaupten, auch einen therapeutischen Effekt. Diese wahnwitzige Reise hinein ins Trauma meines Vaters hat uns beiden geholfen, einander besser zu verstehen.

Mein Vater und auch meine Mutter waren die ersten, die die Rohfassung gelesen haben. An ihnen vorbei hätte ich den Roman nicht publizieren können. Inspirierend war auch die Zeit nach der Veröffentlichung, als mein Vater und ich gemeinsam zu Veranstaltungen eingeladen wurden. Ihn neben mir auf dem Podium zu erleben, so souverän und doch verletzlich, hat mich mit Stolz erfüllt.    

Haben Sie ein politisches Buch geschrieben?

Eher nicht. Ich schildere einen Spionagefall, seine sich bis ins Private fressenden Lügen und Vertrauensbrüche, und die Auswirkungen über Generationen. Es ist ein Gegenwarts-Roman mit zeithistorischem Bezug, so wie ich ihn selbst gern lese. Was andere darin sehen, kann ich kaum beeinflussen.

Auch der Bundesnachrichtendienst hatte meinen Vater und mich in die Zentrale in Berlin eingeladen. In dem riesigen, streng abgeschotteten Olymp der deutschen Spionage aus „Die Unscheinbaren“ zu lesen, war schon speziell. Vor hunderten MitarbeiterInnen diskutierten wir dort vor allem über psychologische Risiken dieser Arbeit. Geheimdiensttätigkeit wird in Filmen oder Büchern des Genres oft entsetzlich verklärt. Welch toxisches, das Familienleben belastendes Gewerbe es für die Beteiligten aber darstellt, auch das wollte ich mit diesem etwas anderen Spionageroman erzählen. Dessen Handlung pendelt übrigens zwischen Berlin und einem Dorf in Oberbayern!            

Wie hat Ihre Familie auf den Roman reagiert?

Durchweg positiv. Mein Vater hat mit Recht immer betont, dass meine Interpretation und Gestaltung nicht seiner Geschichte entsprechen. Aus dieser Distanz heraus konnte er das Buch gut annehmen.

Sie sind in der ehemaligen DDR geboren und aufgewachsen. Was hat Sie in dieser Zeit besonders geprägt?

Ich weiß nicht, ob es da eine spezielle DDR-Prägung gibt – etwas, das in meinem Alltag hier und heute noch eine tragende Rolle spielt. Für mein Schreiben ist der Glaube an die Literatur essenziell geblieben. Als Jugendlicher bin ich nie ohne eine absurd schwere Tasche voller Bücher aus dem Haus gegangen. Man konnte nie wissen, welche Gelegenheiten zum Lesen sich ergeben! Auch wenn sich die Zeiten geändert haben und ich mittlerweile in der Nähe von Fürstenfeldbruck lebe, die Faszination für Geschichten und Menschen treibt mich weiter an.   

Zum Roman „Wir müssen dann fort sein“

Hintergrundgespräch Literaturportal Bayern:

Ein Gespräch mit dem Schriftsteller Dirk Brauns über seinen Roman „Wir müssen dann fort sein“, April 2016

Dirk Brauns arbeitete jahrelang als Korrespondent der Berliner Zeitung in Peking und Warschau und lebte in Minsk. Heute wohnt er in der Nähe von München. 2013 erschien sein von der Kritik hochgelobter Roman „Im Inneren des Landes“. Für „Wir müssen dann fort sein“ recherchierte er ausgiebig im Milieu verfolgter Exilweißrussen. Der Roman erzählt die Geschichte von Oliver Hackert, der die Chance bekommt, nach Jahren als erster westlicher Journalist ein Interview mit dem berüchtigten weißrussischen Diktator zu führen und ihn mit brisanten Informationen zu konfrontieren. Obwohl er dabei um die Gefahr für seine eigene Familie weiß, verfolgt er den Coup – und realisiert zu spät, dass er längst selbst zum Spielball der Macht geworden ist. Ein sehr gutes Buch über politische Verfolgung, die Macht der Liebe und die Rolle der Vergebung als Weg der Erlösung.

 

Literaturportal Bayern: Dirk Brauns, Ihr neuer Roman „Wir müssen dann fort sein“ handelt auch von einer schwierigen Vater-Sohn-Beziehung, die vor allem von der Systemtreue des Vaters geprägt ist. Wie sind Sie zu der Idee für den Roman gekommen?

Dirk Brauns: Die Grundidee für das Buch ist zwanzig Jahre alt, wenn nicht älter, und geht auf mehrjährige Erfahrungen in Minsk zurück. Ich wollte eine Staatsmaschine wie die weißrussische beschreiben, die Menschen verachtet und – wenn nötig – beseitigt. So kalt und analytisch lässt sich aber kein Roman schaffen. Also entschied ich nach den ersten Schreibkatastrophen, mich zunächst auf die Familie und die Innenwelten meines Haupthelden zu verlegen und schilderte rücksichtslos dessen Gewordensein. Familie als Diktatur, Freundschaft, selbst erste Liebe als Diktatur, als sozusagen verstrahlte Zone der Persönlichkeitsentwicklung. Ziemlich verrückt und erschreckend, und das soll auch so sein. Ich wollte erzählen, wie jemand zum Werkzeug erzogen wird. Er wehrt sich dagegen, aber er ist zu jung. Gegen das ihm auferlegte Denken seines Vaters kommt er nicht an. Und daher rührt der unglaubliche Hass von Oliver Hackert, der ganze Furor des ersten Romanteils: dass sich ein Staatsmörder später schuldig fühlt. Und mir war klar – wenn diese Geschichte gelingen soll, muss ich es leidenschaftlich machen. Ich darf nichts behaupten, sondern es muss echt sein. Ich muss diesen ganzen Scheiß durch mein Herz zerren.

Die Thematik Ihres Romans ist sehr komplex und beschreibt den recht schwierigen Alltag Oliver Hackerts als deutscher Korrespondent in Weißrussland. In der Nachbemerkung zu Ihrem Roman erwähnen Sie kurz die damit verbundenen Nachforschungen. Wie sah die Recherchearbeit für Ihren Roman konkret aus, wie haben Sie sich vorbereitet?

Ich komme von der Recherche. Ich liebe Details und schätze Kenntnisse. Ich mag es auch selbst, als Leser von Literatur, etwas Neues zu erfahren. Die pure, eingestellte Information hat in Romanen nichts zu suchen, aber das in Figuren und Schilderungen aufgelöste Tiefenwissen, die Lampe, mit der ein Eingeweihter für mich hinter die Dinge leuchtet, das finde ich großartig. Insofern habe ich für diesen Roman zum Beispiel Menschen in Deutschland getroffen, deren Angehörige in Weißrussland mit staatlichem Auftrag ermordet wurden. Ihre Trauer, aber auch ihr Wille zum Weiterleben waren eine wesentliche Kraftquelle. Ich bin diesen Menschen zu großem Dank verpflichtet. Natürlich war ich auch mehrfach vor Ort, ausschließlich für dieses Projekt.

Ihr Buch beginnt fast wie ein Kriminalroman, mit der Vernehmung Oliver Hackerts auf dem Polizeipräsidium nach dem Verschwinden seines Vaters. Als Leser wird man so geradezu in die Handlung hineingeworfen. Warum haben Sie sich entschlossen, den Roman mit dem Verhör Oliver Hackerts beginnen zu lassen?

Der Roman war irgendwann, nachdem ich die ersten kreativen Erruptionen hinter mir hatte, eine Wüste loser Episoden, die einzig mir selbst einleuchtete. Ich war der Meinung: großartig! Freunde und Erstleser aber mahnten gestalterische Logik an. Also erfand ich in einer gewissen Phase der Besinnung dieses Thrillermuster. Man steht als Leser sofort mitten auf dem Schlachtfeld, direkt vor dem noch rauchenden Haus des Vaters, wird zusammen mit Oliver Hackert verhaftet und stolpert mit ihm in die polizeiliche Vernehmung. Vernehmungen sind Dialoge, in denen einer versucht, vom anderen etwas herauszufinden. Im besten Fall sollten sie fesselnd und sehr lebendig sein. Deshalb wollte ich so beginnen.

Schauplatz des ersten Teils Ihres neuen Romans ist die Muggower Heide, wo Oliver Hackert auch aufgewachsen ist. Hatten Sie dabei einen bestimmten Ort oder eine bestimmte Region vor Augen, als Sie das Buch verfasst haben?

Nein, es gab kein direktes Vorbild. Muggow und die Muggower Heide sind eher ein Puzzle, eine pulsierende Plattform, die ich im Laufe des Schreibens immer wieder variiert und der Handlung angepasst habe. Ich will mit meiner Arbeit nichts über die DDR herausfinden. Schon die Abkürzung nervt und lenkt den Blick in die Irre, nämlich zurück. All die Vorstellungen und Assoziationen im Schlepptau dieser drei Buchstaben sind für mich künstlerisch völlig uninteressant. Mein Schauplatz in Teil eins heißt: „kleines Land“. Die universale Bühne machte alles möglich, selbst oberbayerische Facetten konnte ich einbauen. Jemand aus der kleinen Gemeinde zwischen Augsburg und München, in der ich wohne, hat den Roman gelesen und mir hinterher gesagt, ihm wäre durchaus aufgefallen, dass ich den Sportplatz, das Heizwerk und sogar die Bandenwerbung verbraten hätte. Glücklicherweise leben in diesem Dorf vorwiegend viel beschäftigte Handwerker.

In Rückblenden erfährt der Leser einiges aus Oliver Hackerts Kindheit und Jugendzeit, wie etwa, dass er seinen Vater als Jugendlicher fast umgebracht hätte. Wann das Verhältnis zu seinem Vater endgültig gekippt ist, erfährt der Leser bis zum Schluss nicht, auch für Oliver selbst bleibt der „Grund“ offen. Wie kam es Ihrer Meinung nach zum Bruch?

Ich bin ein unzuverlässiger Interpret meiner Geschichte, aber so wie ich es sehe, bleibt das zentrale Ereignis zwischen Vater und Sohn Olivers Angriff in der Küche. Unter diesem blutigen Vorfall liegt Olivers Ringen mit der Mordschuld. Je älter er wurde, desto bewusster wurde ihm, dass er diese Tat nicht auf den Vater abschieben kann, dass er sie selbst verantworten muss. Ich glaube, die Enttäuschung darüber, sein bitteres Bewusstsein, erwachsen werden zu müssen, verursachte die Trennung.

Der Protagonist Ihres Buches, Oliver Hackert, lebt in Minsk, hat aber gegenüber der Stadt ambivalente Gefühle, er empfindet „Entzücken und Ekel“ zugleich. Teilen Sie Oliver Hackerts Ansicht?

Ja. Minsk ist eine wahrlich ambivalente Stadt. Historisch vielfach aufgeladen, für uns Deutsche besonders. Im Ausdruck einerseits prachtvoll und zugleich provinziell, mit Straßen und Plätzen von oft einschüchternden Dimensionen. Abgesehen von den sowjetischen Verhältnissen und den individuellen Deformationen, die sie bewirken, leben dort gute Freunde von mir. Menschen von ungeheurer Herzensgüte und Selbstlosigeit, auch das klingt im zweiten Teil hoffentlich an, die ihren besten Anzug einfach wenden und wieder anziehen können, um spontan beim Renovieren und Malern zu helfen.

Oliver Hackert hat sich von seinem Heimatort und seiner Vergangenheit im Laufe seines Lebens stark distanziert. Der geplante Umzug nach Berlin scheitert, obgleich auch Darja, seine Ehefrau, sich zunächst scheinbar für den Umzug ausspricht und auch seine Tochter Sweta sich auf Berlin zu freuen scheint. Wieso können sich Oliver und seine Familie nicht von Minsk lösen, wieso wird der Umzug nach Deutschland ad acta gelegt?

Was der Roman auch erzählt, ist eine weißrussisch-deutsche Liebesgeschichte. Oliver will das für ihn unerträgliche Minsk nach dem Interview des Diktators so schnell wie möglich verlassen. Aber seine Frau Darja hängt trotz aller politischen Probleme an ihrer Heimaterde. Es ist der klassische Konflikt, und die beiden lösen ihn wie alle großen Liebenden: tragisch. Oliver wird selbstverständlich bei ihr und der gemeinsamen Tochter bleiben, sich arrangieren und weiter sein böses Besucherdasein als Korrespondent fristen. Weil er seine Familie über alles liebt. Vielleicht auch, weil er das Gefühl hat, als Mörder einen Preis zahlen zu müssen?

Zum Roman „Im Inneren des Landes“

Deutschlandradio Kultur | 09.10.2012 Video: Gespräch mit der Literaturkritikerin Sigrid Löffler bei „Literatur im Römer“ 2012