Manche Tage sind wie aus einem Guss. Auf eine Weise stimmig, die sich erst abends herausstellt. Und dann verzaubert.

Am Morgen wandere ich durch Wälder. Es ist gehörig heiß. Ich suche nach einem Schreibplatz, denn nach den Erfahrungen der ersten Tage bin ich nun ein Hybridwanderer, der das Schreiben ins Gehen zu integrieren versucht. Meist wandere ich eine Morgenschicht, schreibe mit noch halbwegs klarem Kopf Blogs wie diesen. Danach geht es weiter.

Ich durchstreife mir endlos scheinende Forstgebiete, stoße auf einen Parcours von Bogenschützen – erschreckend echt aussehende Gummiantilopen, Gummitruthähne, Gummikrokodile…
Aber ich finde keine Sitzgelegenheit, überlege, mich ins Moos zu hocken, in irgendeinen Schatten.
Da hört der Wald auf. Am Eingang des Dorfes Geroldsreuth entdecke ich ein Schild „Zum Sportplatz“. Dort sollte es hoffentlich Bänke, Stühle, Tische geben!
Ich biege in eine lange Straße. Häuser rechts, Häuser links. Flammende Hitze.

Am letzten Haus vor dem Sportplatz sehe ich einen Mann auf dem Gehweg vor seinem Zaun knien. Wie ich im Vorbeigehen erkenne, hat er neben sich einen Wassereimer stehen und wischt die Zaunlatten sauber.
Ich habe ihn bereits passiert, vor mir der lockende Sportplatz, da drehe ich wieder um und frage ihn, was er eigentlich täte. Er ist kein bisschen erstaunt. Mit freundlich blitzenden blauen Augen erklärt er. „Ich wische den Vogelschiss ab.“

Würdigende Unterhaltung über seinen kürzlich mit „sehr guter Farbe“ gestrichenen Zaun. Er betont, dass dies kein Jägerzaun ist. „Diese Biester früher zu streichen und sauber zu halten, war die Hölle.“

Servus!
Zum Sportplatz!
Schreiben!

Ich habe mir während der Wanderung angewöhnt, meiner Intuitionen zu folgen. Im Unterschied zu den Anfangstagen, als das Dauergehen noch schmerzte und mich völlig in Anspruch nahm, schlage ich mittlerweile keine Offerte am Wegrand mehr aus. Also zurück!

Ich klingle und lerne Heinz kennen, einen überzeugten Zaunsäuberer. Mein Fragenwollen leuchtet ihm sofort ein. Mit großer Selbstverständlichkeit holt er einen Gartenstuhl aus dem sehr aufgeräumten Schuppen.

Hier unser Gespräch:

Zwei Stunden später trotte ich in immer drückenderer Nachmittagshitze durch das Dorf Langenbach. Mir fällt ein weißes Haus auf. Mit den großen, roten Herzen auf den Fensterläden und den märchenhaften Thronen im Eingangsbereich springt es ins Auge. Mein Konzept heisst gnadenlose Neugier. Ehe Zweifel und Scheu mich abhalten, klingle ich auch dort.
Ich lerne Silke kennen, eine Malerin, Weberin, Künstlerin. Und ich lerne ihre Mutter und deren Lebensgefährten kennen. Und ich lerne Silkes Mann kennen, einen kommunikativen Punk. Und einen kleinen Sohn und ein Kindermädchen lerne ich auch kennen. Und zwei mir den Schweiß von den Beinen schleckende Hunde.
Ich verliere etwas den Überblick, bin der Überraschungsgast in diesem kunterbunten Haus. Alle Bewohner scheinen sich darüber zu freuen, dass ich auftauche. Berührungsangst? Fehlanzeige. Ein Interview mit Silke möchte ich führen? Ja, klar!
Sie muss eigentlich irgendwohin. Aber wir reden und genießen den Moment. Sie erzählt von ihren beruflichen Umwegen. Dass ihr verstorbener Vater keine Künstlerin-Tochter wollte. Dass er sehr auf Sauberkeit und Ordnung bedacht gewesen sei. Sie sagt, wie sie es beispielsweise als Kind gehasst hätte, den „Jägerzaun“ zu streichen. „Wenn mein Vater wüsste, was ich mit seinem Haus angestellt habe, würde er sich bestimmt im Grab umdrehen.“
Sie sagt es fröhlich, aber auch irgendwie traurig.

Jägerzaun, grübele ich im Weggehen. Und dann fällt es mir ein. Heinz natürlich, so grundverschieden die beiden sind, so sympathisch sind sie auch. Sie sollten sich kennenlernen. Das wäre interessant, weil sich herausstellen könnte, wie wenig Zuneigung und Respekt mit Übereinstimmung zu tun hat.

Es folgt die Pointe des Tages: Drei Stunden sind seit dem Heinz-Interview vergangen. Eine vielbefahrene Straße, noch immer in Franken. Neben mir hält ein Auto, darin Heinz.
Er sagt, er sei alle Dörfer abgeklappert, weil er sich Vorwürfe gemacht hätte, mir bei diesen „mörderischen Temperaturen“ kein Wasser angeboten zu haben.

Ich bin überwältigt und muss erst einmal meine Frau anrufen. Dann bringt mich Heinz ein Stück nordwärts.
Wir quasseln die ganze Zeit.

30. August 2024

Weil es so eindrucksvoll war: Hier noch einige Fotos von Silkes Haus, ihren Kunstwerken, von ihr, ihrer Mutter und deren Lebensgefährten.